Ungekürztes Werk "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller (Seite 22)

überrascht.

WALTHER FÜRST:

Sorgt nicht, die Nacht weicht langsam aus den Tälern.

Alle haben unwillkürlich die Hüte abgenommen und betrachten

mit stiller Sammlung die Morgenröte.

RÖSSELMANN: Bei diesem Licht, das uns zuerst begrüßt

Von allen Völkern, die tief unter uns

Schweratmend wohnen in dem Qualm der Städte,

Laßt uns den Eid des neuen Bundes schwören.

– Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,

In keiner Not uns trennen und Gefahr.

Alle sprechen es nach mit erhobenen drei Fingern.

– Wir wollen frei sein wie die Väter waren,

Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.

Wie oben.

– Wir wollen trauen auf den höchsten Gott

Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

Wie oben. Die Landleute umarmen einander.

STAUFFACHER: Jetzt gehe jeder seines Weges still

Zu seiner Freundschaft und Genoßsame,

Wer Hirt ist, wintre ruhig seine Herde,

Und werb im stillen Freunde für den Bund,

– Was noch bis dahin muß erduldet werden,

Erduldet's! Laßt die Rechnung der Tyrannen

Anwachsen, bis ein Tag die allgemeine

Und die besondre Schuld auf einmal zahlt.

Bezähme jeder die gerechte Wut,

Und spare für das Ganze seine Rache,

Denn Raub begeht am allgemeinen Gut,

Wer selbst sich hilft in seiner eignen Sache.

Indem sie zu drei verschiednen Seiten in größter Ruhe abgehen,

fällt das Orchester mit einem prachtvollen Schwung ein,

die leere Szene bleibt noch eine Zeitlang offen und zeigt

das Schauspiel der aufgehenden Sonne über den Eisgebirgen.

Dritter Aufzug

Erste Szene

Hof vor Tells Hause. Tell ist mit der Zimmeraxt, Hedwig mit

einer häuslichen Arbeit beschäftigt. Walther und Wilhelm in der Tiefe

spielen mit einer kleinen Armbrust.

WALTHER singt: Mit dem Pfeil, dem Bogen,

Durch Gebirg und Tal

Kommt der Schütz gezogen

Früh am Morgenstrahl.

 

Wie im Reich der Lüfte

König ist der Weih –

Durch Gebirg und Klüfte

Herrscht der Schütze frei.

 

Ihm gehört das Weite

Was sein Pfeil erreicht,

Das ist seine Beute,

Was da kreucht und fleugt.

 

Kommt gesprungen.

Der Strang ist mir entzwei. Mach mir ihn Vater.

TELL: Ich nicht. Ein rechter Schütze hilft sich selbst.

Knaben entfernen sich.

HEDWIG: Die Knaben fangen zeitig an zu schießen.

TELL: Früh übt sich, was ein Meister werden will.

HEDWIG: Ach wollte Gott, sie lernten's nie!

TELL: Sie sollen alles lernen. Wer durchs Leben

Sich frisch will schlagen, muß zu Schutz und Trutz

Gerüstet sein.

HEDWIG: Ach, es wird keiner seine Ruh

Zu Hause finden.

TELL:Mutter, ich kann's auch nicht,

Zum Hirten hat Natur mich nicht gebildet,

Rastlos muß ich ein flüchtig Ziel verfolgen,

Dann erst genieß ich meines Lebens recht,

Wenn ich mir's jeden Tag aufs neu erbeute.

HEDWIG:

Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht,

Die sich indessen, deiner wartend, härmt,

Denn mich erfüllt's mit Grausen, was die Knechte

Von euren Wagefahrten sich erzählen.

Bei jedem Abschied zittert mir das Herz,

Daß du mir nimmer werdest wiederkehren.

Ich sehe dich im wilden Eisgebirg,

Verirrt, von einer Klippe zu der andern

Den Fehlsprung tun, seh wie die Gemse dich

Rückspringend mit sich in den Abgrund reißt,

Wie eine Windlawine dich verschüttet,

Wie unter dir der trügerische Firn

Einbricht und du hinabsinkst, ein lebendig

Begrabner, in die schauerliche Gruft –

Ach, den verwegnen Alpenjäger hascht

Der Tod in hundert wechselnden Gestalten,

Das ist ein unglückseliges Gewerb,

Das halsgefährlich führt am Abgrund hin!

TELL: Wer frisch umherspäht mit gesunden Sinnen,

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