Ungekürztes Werk "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller (Seite 40)

Bergen –

Jetzt geht er einem andern Weidwerk nach,

Am wilden Weg sitzt er mit Mordgedanken.

Des Feindes Leben ist's, worauf er lauert.

– Und doch an euch nur denkt er, lieben Kinder,

Auch jetzt – Euch zu verteid'gen, eure holde Unschuld

Zu schützen vor der Rache des Tyrannen

Will er zum Morde jetzt den Bogen spannen!

Steht auf.

Ich laure auf ein edles Wild – Läßt sich's

Der Jäger nicht verdrießen, tagelang

Umherzustreifen in des Winters Strenge,

Von Fels zu Fels den Wagesprung zu tun,

Hinanzuklimmen an den glatten Wänden,

Wo er sich anleimt mit dem eignen Blut,

– Um ein armselig Grattier zu erjagen.

Hier gilt es einen köstlicheren Preis,

Das Herz des Todfeinds, der mich will verderben.

Man hört von ferne eine heitre Musik, welche sich nähert.

Mein ganzes Leben lang hab ich den Bogen

Gehandhabt, mich geübt nach Schützenregel,

Ich habe oft geschossen in das Schwarze,

Und manchen schönen Preis mir heimgebracht

Vom Freudenschießen – Aber heute will ich

Den Meisterschuß tun und das Beste mir

Im ganzen Umkreis des Gebirgs gewinnen.

 

Eine Hochzeit zieht über die Szene und durch den Hohlweg hinauf.

Tell betrachtet sie, auf seinen Bogen gelehnt, Stüssi der Flurschütz

gesellt sich zu ihm.

 

STÜSSI: Das ist der Klostermei'r von Mörlischachen,

Der hier den Brautlauf hält – Ein reicher Mann,

Er hat wohl zehen Senten auf den Alpen.

Die Braut holt er jetzt ab zu Imisee,

Und diese Nacht wird hoch geschwelgt zu Küßnacht,

Kommt mit! 's ist jeder Biedermann geladen.

TELL:

Ein ernster Gast stimmt nicht zum Hochzeithaus.

STÜSSI: Drückt Euch ein Kummer, werft ihn frisch vom Herzen,

Nehmt mit was kommt, die Zeiten sind jetzt schwer.

Drum muß der Mensch die Freude leicht ergreifen.

Hier wird gefreit und anderswo begraben.

TELL: Und oft kommt gar das eine zu dem andern.

STÜSSI: So geht die Welt nun. Es gibt allerwegen

Unglücks genug – Ein Ruffi ist gegangen

Im Glarner Land und eine ganze Seite

Vom Glärnisch eingesunken.

TELL: Wanken auch

Die Berge selbst? Es steht nichts fest auf Erden.

STÜSSI: Auch anderswo vernimmt man Wunderdinge.

Da sprach ich einen, der von Baden kam.

Ein Ritter wollte zu dem König reiten,

Und unterwegs begegnet ihm ein Schwarm

Von Hornissen, die fallen auf sein Roß,

Daß es für Marter tot zu Boden sinkt,

Und er zu Fuße ankommt bei dem König.

TELL: Dem Schwachen ist sein Stachel auch gegeben.

Armgard kommt mit mehreren Kindern und stellt sich an

den Eingang des Hohlwegs.

 

STÜSSI: Man deutet's auf ein großes Landesunglück,

Auf schwere Taten wider die Natur.

TELL: Dergleichen Taten bringet jeder Tag,

Kein Wunderzeichen braucht sie zu verkünden.

STÜSSI: Ja, wohl dem, der sein Feld bestellt in Ruh,

Und ungekränkt daheim sitzt bei den Seinen.

TELL: Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben,

Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.

Tell sieht oft mit unruhiger Erwartung nach der Höhe des Weges.

STÜSSI:

Gehabt Euch wohl – Ihr wartet hier auf jemand?

TELL: Das tu ich.

STÜSSI: Frohe Heimkehr zu den Euren!

– Ihr seid aus Uri? Unser gnäd'ger Herr

Der Landvogt wird noch heut von dort erwartet.

WANDERER kommt:

Den Vogt erwartet heut nicht mehr. Die Wasser

Sind ausgetreten von dem großen Regen,

Und alle Brücken hat der Strom zerrissen.

Tell steht auf.

ARMGARD kommt vowärts:

Der Landvogt kommt nicht!

STÜSSI:Sucht Ihr was an ihn?

ARMGARD: Ach freilich!

STÜSSI: Warum stellet Ihr Euch denn

In dieser hohlen Gaß ihm in den Weg?

ARMGARD:

Hier weicht er

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