Ungekürztes Werk "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller (Seite 43)

mit Heftigkeit wiederholt,

da sie nicht gleich verstanden werden.

  Wo soll ich hin?

– Nach Küßnacht? – Ich versteh Euch nicht – O werdet

Nicht ungeduldig – Laßt das Irdische,

Denkt jetzt, Euch mit dem Himmel zu versöhnen.

Die ganze Hochzeitgesellschaft umsteht den Sterbenden

mit einem fühllosen Grausen.

STÜSSI:

Sieh wie er bleich wird – Jetzt, jetzt tritt der Tod

Ihm an das Herz – die Augen sind gebrochen.

ARMGARD hebt ein Kind empor:

Seht Kinder, wie ein Wüterich verscheidet!

RUDOLF DER HARRAS:

Wahnsinn'ge Weiber, habt ihr kein Gefühl,

Daß ihr den Blick an diesem Schrecknis weidet?

– Helft – Leget Hand an – Steht mir niemand bei,

Den Schmerzenspfeil ihm aus der Brust zu ziehn?

WEIBER treten zurück:

Wir ihn berühren, welchen Gott geschlagen!

RUDOLF DER HARRAS:

Fluch treff euch und Verdammnis!

Zieht das Schwert.

STÜSSI fällt ihm in den Arm: Wagt es Herr!

Eur Walten hat ein Ende. Der Tyrann

Des Landes ist gefallen. Wir erdulden

Keine Gewalt mehr. Wir sind freie Menschen.

ALLE tumultuarisch:

Das Land ist frei!

RUDOLF DER HARRAS: Ist es dahin gekommen?

Endet die Furcht so schnell und der Gehorsam?

Zu den Waffenknechten, die hereindringen:

Ihr seht die grausenvolle Tat des Mords

Die hier geschehen – Hülfe ist umsonst –

Vergeblich ist's, dem Mörder nachzusetzen.

Uns drängen andre Sorgen – Auf, nach Küßnacht,

Daß wir dem Kaiser seine Feste retten!

Denn aufgelöst in diesem Augenblick

Sind aller Ordnung, aller Pflichten Bande,

Und keines Mannes Treu ist zu vertrauen.

Indem er mit den Waffenknechten abgeht, erscheinen sechs

Barmherzige Brüder.

 

ARMGARD:

Platz! Platz! da kommen die Barmherz'gen Brüder.

STÜSSI: Das Opfer liegt – Die Raben steigen nieder.

BARMHERZIGE BRÜDER schließen einen Halbkreis um den Toten

und singen in tiefem Ton:

Rasch tritt der Tod den Menschen an,

Es ist ihm keine Frist gegeben,

Es stürzt ihn mitten in der Bahn,

Es reißt ihn fort vom vollen Leben,

Bereitet oder nicht, zu gehen,

Er muß vor seinen Richter stehen!

Indem die letzten Zeilen wiederholt werden, fällt der Vorhang.

Fünfter Aufzug

Erste Szene

Öffentlicher Platz bei Altorf: Im Hintergrunde rechts die Feste Zwing Uri

mit dem noch stehenden Baugerüste, wie in der dritten Szene

des ersten Aufzugs; links eine Aussicht in viele Berge hinein,

auf welchen allen Signalfeuer brennen. Es ist eben Tagesanbruch,

Glocken ertönen aus verschiedenen Fernen. –

Ruodi, Kuoni, Werni, Meister Steinmetz und viele andere Landleute,

auch Weiber und Kinder.

RUODI: Seht ihr die Feuersignale auf den Bergen?

STEINMETZ:

Hört ihr die Glocken drüben überm Wald?

RUODI: Die Feinde sind verjagt.

STEINMETZ:     Die Burgen sind erobert.

RUODI: Und wir im Lande Uri dulden noch

Auf unserm Boden das Tyrannenschloß?

Sind wir die letzten, die sich frei erklären?

STEINMETZ:

Das Joch soll stehen, das uns zwingen wollte?

Auf, reißt es nieder!

ALLE:    Nieder! Nieder! Nieder!

RUODI: Wo ist der Stier von Uri?

STIER VON URI: Hier. Was soll ich? 

RUODI:

Steigt auf die Hochwacht, blast in Euer Horn,

Daß es weitschmetternd in die Berge schalle,

Und jedes Echo in den Felsenklüften

Aufweckend, schnell die Männer des Gebirgs

Zusammenrufe.

Stier von Uri geht ab. Walther Fürst kommt.

 

WALTHER FÜRST: Haltet Freunde! Haltet!

Noch fehlt uns Kunde was in Unterwalden

Und Schwyz geschehen. Laßt uns Boten erst

Erwarten.

RUODI: Was erwarten? Der Tyrann

Ist tot, der Tag der Freiheit ist erschienen.

STEINMETZ: Ist's nicht genug an diesen flammenden Boten,

Die ringsherum auf allen Bergen leuchten?

RUODI: Kommt alle, kommt, legt Hand an, Männer und Weiber!

Brecht das Gerüste!

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