Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 236)

mich verlanget, bin ich gleich Ihr dazu bereit!«

Da, während sich allmählich ein Haufen Gesindes in das Zimmer gedrängt hatte, wurde unten die schwere Hausthür aufgestoßen; es kam die Stiegen zu uns herauf, hastend und doch mühsam; und alle Köpfe wandten sich. »Der Wildmeister!« raunte es unter den Leuten; »das ist der Wildmeister!« Sie wichen alle zurück, als die große Gestalt des Greises in das Zimmer trat. Aber er schritt nicht mehr aufrecht wie vor Jahren; er schien in diesem Augenblick wie am Ende seines Lebens. Trotz der eisigen Nachtkälte draußen rann der Schweiß in Tropfen ihm in den weißen Bart; er wollte sprechen, aber der Athem versagte ihm, und er neigte sich nur stumm vor seinem früheren Herrn.

Der reichte ihm beide Hände und sprach: »Ihr seid krank, Wildmeister; aber ich danke Euch, daß Ihr heut gekommen seid!«

Da erhielt der Greis die Sprache wieder: »Nur alt, Herr Oberst; geben Sie mir einen Trunk von jenem Wein!«

Der Oberst schenkte den großen Glaspokal zum Rande voll, und der Alte trank durstig bis zum letzten Tropfen. Und allmählich richtete er sich auf: »Wer ist zur Brücke?« frug er.

»Niemand!« sprach der Oberst.

Vom Kirchthurm unten aus dem Dorfe schlug es Mitternacht, und alle wandten das Haupt, um dem Schalle nachzuhorchen.

»Es ist Zeit!« rief der Alte und stand aufrecht, wie wir vor Jahren ihn gekannt hatten. »Gebet mir des Junkers Pferd Falada, so soll die Erde uns nicht lange halten!«

»Gehe, Marten«, sprach der Oberst, »und sattle die Falada!«

Und der Knecht trollte sich schweigend, und die anderen Knechte und die Dirnen gingen mit hinaus. Der Oberst reichte dem Wildmeister die Hände: »Ihr seid der Alte noch! Wir harren Euer, bis Ihr wiederkehret; und Gott geleite Euch!«

Doch als dieser sich zur Thüre wandte, stand Abel vor ihm, mit ihren großen, schwarzen Augen zu ihm aufblickend: »Ich darf nicht«, sagte sie; »aber, Herr, Ihr werdet nichts versäumen!«

Da neigte der noch immer aufrechte Mann sich zu ihr, nahm den kleinen Kopf des Mädchens zwischen seine Hände und küßte sie liebevoll auf ihre Stirn: »Nein, Kind, so Gott will«, sagte er leise; »ich liebe ihn ja noch mehr als du!«

»Noch mehr?« murmelte das Mädchen und schüttelte finster mit dem Haupte. Das sah ich noch; dann war ich mit dem Wildmeister draußen vor dem Hausthor. Da stand schon die Falada, von dem Knecht gehalten; das edle Thier streckte den Hals und wieherte grüßend in die helle Nacht hinaus; der greise Mann aber reichte mir die Hand: »Lebet wohl, Herr Pastor!« sprach er, »betet für mich, Ihr kennet ja das Wort der Schrift: Unstät und flüchtig sollst du sein auf Erden! – Noch dies; dann, hoffe ich, wird Ruhe sein.« Und da er mich itzt ansahe, war mir, als schaue ein lebenslanger Gram aus diesem edlen Antlitz.

Er bestieg das Roß, wandte es und ritt über den Hof zum Thore hinaus; ich aber ging ihm bis an den Rand der Mulde nach und sah noch eine Zeitlang die hellen Mähnen seines Rosses in der dunklen Heide fliegen.

– – Als ich die Treppe im Herrenhause wieder

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