Ungekürztes Werk "Der Schimmelreiter" von Theodor Storm (Seite 237)

hinaufstieg, hörte ich die Thür des Krankenzimmers gehen, und mit ihrem Krückstock kam die blinde Matten daraus hervor.

»Wo will Sie hin, Matten?« frug ich.

»Zum Herrn«, entgegnete sie kurz; »aber faß Er mich an, Magister!«

So ging ich mit ihr hinein. Der Oberst saß wieder in seinem Sessel; Abel stand neben ihm, als sei sie gelähmt.

»Verzeihet, Herr!« sagte die Alte; »wir hören die Dirnen reden, und das Frölen Adelheid fraget danach: Was ist mit dem Junker?« Dann hielt sie inne. »Ist hier noch jemand mehr zugegen?«

»Deine Abel«, sprach der Oberst; »sonst niemand«.

»Abel? Nein, die ist unten in der Stadt; das sei Gott geklaget, denn da ist rauhe Wirthschaft itzo.«

Aber das Mädchen ging zu ihr und berichtete, was sie hergetrieben hatte. Die Alte stand gebückt und lauschte. »Wer soll denn reiten?« frug sie.

»Der Wildmeister, Möddersch; denn der ist wieder da und gleich nach mir hieher gekommen.«

Die Alte hatte sich aufgerichtet: »Der Wildmeister? Den ihr hier den Wildmeister geheißen habt? Wo ist der? Der darf nicht reiten!«

»Was redest du da wieder, Matten?« sprach der Oberst. »Ein Besserer wär nicht zu finden. Er ist schon fort; er muß bald mitten in den Eichen sein.«

Da fiel die Alte auf die Kniee, und ihren Krückstock in die Höhe streckend, rief sie: »So stehen sie beide bald vor Gottes Angesicht!«

Das Kerzenlicht, welches allein in dem weiten Gemache brannte, und die Mondesdämmerung, welche durch die hohen Fenster schimmerte, erzeugeten ein seltsam wüstes Zwielicht; es war so kalt und öde hier; mir war mit einemmal, als sei alle Hoffnung längst verloren.

Der Oberst hatte sich erhoben und wandelte hinkend auf und ab. »Die Stunde ist schwer, Matten«, sagte er; »mache sie nicht schwerer durch deine Thorheit!«

Die Alte entgegnete nichts, sie schien zu beten; doch Abel hob sanft und schweigend ihr altes Möddersch auf. Ich hörte, wie sie langsam den Korridor entlang und nach dem Krankenzimmer gingen.

– – Der Herr Oberst und ich waren itzt allein. Vom Dorf herauf kam mit dem Wind ein Schlag der Thurmglocke. »Eins!« sagte der Oberst.

»Ja, eins!« wiederholte ich; »vor vier Uhr kann der Wildmeister nicht zurück sein. Wollen der Herr Oberst sich nicht zur Ruhe legen bis dahin?«

Aber er schüttelte den Kopf: »Wenn Er, Magister, mit mir wachen wollte?« Und da ich dessen ihn versicherte, zog er den Glockenstrang: »Vielleicht, er könnte selber kommen!«

Ich schwieg; aber eine Magd kam, und bald entzündete sie ein mächtig Feuer in dem großen Ofen, und der Oberst hieß sie seinen Sessel und einen Stuhl für mich davor tragen.

Hier haben wir beieinander in der Nacht gesessen. Ein leichter Wind flirrete vor den Fenstern, und unterweilen ruckten wohl einmal die Wetterfahnen auf dem Dache. Sonst war alles still; nur wenn die Stunde wieder voll wurde, kam der Glockenschlag vom Dorf herab. Geredet haben wir nicht viel mitsammen; des Obersten Gedanken mochten bei dem Sohne sein, auch wohl den greisen Reiter durch den Forst begleiten; denn einmal streckte er jählings beide Arme aus und rief als wie aus Träumen: »Gott schütz sie beide!« schwieg dann aber wieder oder sprach dazwischen: »Wie weit mag's

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